Zu Grunde liegt der - auch einer Entscheidung des BGH (Beschluss vom 15.11.10 - NotZ 6/10 -) zugrundeliegende - Fall eines deutschen Notars, der in Birmingham eine Wohnung gemietet, ein Gewerbe als Fotograf angemeldet und wenige Monate später beim dortigen county court Insolvenzantrag gestellt hatte. Noch während der Restschuldbefreiungsphase annullierte das Gericht auf Antrag der Insolvenzbehörde den Eröffnungsbeschluss, weil sich herausgestellt hatte, dass sich der COMI des Schuldners im Zeitpunkt der Antragstellung in Wahrheit nicht in Birmingham oder an einem anderen Ort in England oder Wales befunden hatte.
Wenige Monate später stellte der Notar einen neuen Antrag beim selben Gericht. Gegen den Widerstand der Insolvenzbehörde wurde der Antrag angenommen und das Verfahren eröffnet, weil sich der COMI nach Ansicht des Gerichts diesmal zweifelsfrei in Birmingham befand. Entsprechend den Bestimmungen des englischen Insolvenzrechts trat ein Jahr später automatisch Restschuldbefreiung ein.
Nach Eintritt der Restschuldbefreiung stellte ein deutscher Gläubiger beim englischen Insolvenzgericht den Antrag, auch das zweite Verfahren und damit auch die bereits eingetretene Restschuldbefreiung zu annullieren. Zur Begrünung trug er vor, auch bei Stellung des zweiten Antrages habe sich der COMI nicht in England oder Wales befunden, sondern in Deutschland. Trotz eines sehr umfangreichen Anwaltsschriftsatzes, der in mäßiges Englisch übersetzt worden war und kaum neue Tatsachen enthielt, gab das Gericht dem Antrag nach Anhörung und Kreuzverhör („cross examination") des Schuldners statt und annullierte auch das zweite Verfahren.
Die Begründung der Entscheidung weist einige bedeutsame Akzente auf:
- Das englische Insolvenzgericht kann einen Eröffnungsbeschluss gem. section 282 des Insolvency Act 1986 ohne zeitliche Beschränkung („at any time") annullieren, wenn es zu dem Ergebnis kommt, dass der Eröffnungsbeschluss - z.B. wegen fehlender Zuständigkeit - nie hätte erlassen werden dürfen. Dies bedeutet, dass der Schuldner, der seinen COMI nur zum Schein nach England oder Wales verlegt hat, auch nach Eintritt der Restschuldbefreiung nicht sicher sein kann, dass diese Bestand hat. Im Gegensatz zum deutschen Recht tritt also keine Unanfechtbarkeit und damit für den Schuldner keine Rechtssicherheit ein.
- Besonderes Gewicht maß das Gericht dem Umstand bei, dass der Notar nach seiner Überzeugung von vornherein nicht dauerhaft nach England umziehen wollte, sondern nur vorübergehend und zur Durchführung des Insolvenzverfahrens. Damit wird - soweit erkennbar - erstmals durch ein englisches Gericht bestätigt, dass zu den Merkmalen, die einen COMI ausmachen, auch die Dauerhaftigkeit gehört. Ein COMI wird demnach überall dort nicht begründet, wo das „Gravitationszentrum" der Lebensführung von vornherein nur für einen beschränkten Zeitraum begründet und danach wieder an den alten Ort zurück verlegt werden soll. Welche Bedeutung in diesem Zusammenhang dem Umstand isoliert zukommt, dass das englische Insolvenzrecht die Haupt- oder alleinige Motivation für den Umzug war, wird nicht klar. Jedenfalls aber deutet eine solche Motivation stark auf eine von vornherein gewollte zeitliche Begrenzung hin.
- Falsche Angaben gegenüber dem Gericht als solche rechtfertigen bereits die Annullierung, ohne dass es entscheidend auf die Feststellung des COMI ankommt. Dies hat der High Court besonders deutlich im Fall Mitterfellner betont.
- Gewicht maß das Gericht auch dem Umstand bei, dass der Notar bei Begründung des englischen Wohnsitzes, des Bankkontos und der Zulassung eines Kfz von einer Organisation unterstützt wurde, die ihre Dienste deutschen Insolvenztouristen anbietet („... the fact that the friend and a company connected with him advertised the provision of relocation services to England of Germans facing bankruptcy ..."). Dies gilt auch für den Umstand, dass der Notar seine deutschen Gläubiger nicht über die neue Adresse in England informiert hatte.
Die Annullierung erfolgte, obwohl der Notar alle Dokumente vorgelegt hatte, die üblicherweise in England und Wales als proof of address gelten (Mietvertrag, Kontoauszüge, Strom- und Wasserverbrauchsrechnungen, Autozulassung, Kaufquittungen etc.) und die nach Darstellung mancher deutscher Berater ausreichend sind, um den COMI zu belegen und die Restschuldbefreiung rechtssicher zu erlangen. Das Gericht kam jedoch auf Grundlage einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass diese Dokumente nur zu dem Zweck kreiert worden waren, eine permanente Präsenz vorzutäuschen („... to create the illusion of a permanent presence here against the background of an intention to return to Germany once the English bankruptcy was behind him").
Die Entscheidung, die weitere interessante Details aufweist, zeigt einmal mehr, wie wichtig die glaubhafte und nachweisbare Begründung des COMI unter Beachtung der einschlägigen Rechtsprechung ist und dass es nicht genügt, einen Mietvertrag abzuschließen und die in einschlägigen Internetforen aufgeführten Strom- und Wasserverbrauchsrechnungen etc. zu „sammeln".
Die immer rigider werdende Praxis deutscher und englischer Gerichte engt den Spielraum für Insolvenztouristen immer mehr ein.